„Vater Staat“ – typisch deutsch?
deutsch | father |
Vater | state |
Staat | -- |
In deutscher Tradition der Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften gab es die stark holistische Vorstellung, dass der Staat ein (personifiziertes) GemeinWESEN ist mit eigenen Bedürfnissen. Die Begriffe wie „Gemeinwesen“, „Körperschaft“, „Bedarfsanmeldung im Haushaltswesen“, “Zuwendungen“, „Kollegialorgan“ transportieren bis heute diese Vorstellung.
In den Diskussionen zu den Kollektivbedürfnissen, den meritorischen Bedürfnissen bis hin zur Theorie öffentlicher Güter, lässt sich nachvollziehen, wie eine individualistische Begründung für staatliches Handeln möglich werden konnte.
Staatl. Entscheidung = endogen
Der Staat als Leviathan
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„Leviathan“*
Titel des Hauptwerks (1651)
von Thomas Hobbes
engl. Staatstheoretiker 1588-1679
1. "
Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt einer kirchlichen und staatlichen Gemeinschaft“
2. Der Staatskörper besteht aus lauter Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben.
3. Zitat aus dem Buch Hiob: „keine Macht auf Erden ist mit der seinen vergleichbar“
*Leviathan = Name eines Seeungeheuers
In angelsächsischer Tradition der Wirtschaftswissenschaften wurde der Markt zum zentralen Untersuchungsbereich und eine vom Individuum ausgehende Argumentation.
Die klassischen Nationalökonomen – allen voran Adam Smith – prägten die Idee, dass auf dem Markt freiwillige und einstimmige Tauschakte von Leistung und Gegenleistung zwischen Individuen stattfinden. Diese nach Selbstinteressen geleiteten Tauschaktionen evozieren insgesamt ein für alle wünschenswertes, aber vom Individuum selbst nicht intendiertes und insgesamt nicht absehbares Ergebnis. Das Marktgeschehen wird wie von einer „unsichtbaren Hand“ gelenkt. Wenn jeder nach seinen Interessen handelt, erhöht sich die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, so das liberale Vorurteil. Vor dem Hintergrund dieser Tradition lässt sich verstehen, dass sich eine tendenziell und im Vergleich zur deutschen eher pessimistische bzw. skeptische Haltung gegenüber dem Staat entwickelte. Die Bedeutung des Staats wird zwar nicht in Frage gestellt, aber die Staatsgewalt steht im Verdacht, individuelle Freiheit und selbstbestimmte Handlungen zu gefährden. Staatliche Eingriffe bzw. Beschränkungen der Handlungsfreiheit bedürfen immer einer Rechtfertigung.
In Gegenüberstellung zur Metapher vom Vater Staat in Deutschland, bringt die Metapher vom Leviathan diesen unterschiedlichen geschichtlichen Hintergrund zum Ausdruck.
Aus dieser Tradition heraus hat sich seit der neoklassischen Zäsur die liberale Einstellung verschärft. In der neoklassischen Verkürzung der Ökonomie auf den Bereich Markt, der Theorie vom optimalen Budget und damit der Vorstellung vom Staat als „omniscient calculating machine“ und mit den Marktversagensargumenten lässt sich nachvollziehen, wie sich die rein-individualistische Begründung für staatliches Handeln wieder erweitert.
KOOP-Kernaussage
Die KOOP OEFW folgt einem aufgeklärten Verständnis vom Gemeinwesen. Wir knüpfen an die Analogie von Mensch und Gemeinwesen an, allerdings in aufgeklärter Weise. Angeknüpft wird an die verfolgungswürdigen Stränge der jüngeren historischen Schule. Danach wird die Vorstellung „eines Finanzwesens“ als eigenlebendige übergeordnete Ganzheit („Vater Staat“) zurückgeführt auf die im Gemeinwesen lebenden Individuen. Sie sind die Entscheidungsträger und Inhaber verschiedener Rollen im prozessualen Zusammenspiel. Aus Sicht jedes einzelnen Mitglieds lässt sich der Zusammenschluss in einem Gemeinwesen erklären, weil eine gemeinsame Besserstellung möglich wird.
Guido Reni,
Caritas (1604/07). Die Allegorie der
fürsorgenden Liebe kann unter anderem die mütterlich-familiäre Liebe meinen.
Von The Yorck Project (
2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by
DIRECTMEDIA Publishing GmbH.
ISBN:
3936122202., Gemeinfrei,
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„Selbst wenn ein symbiotisches Gefühl verschmelzender Fürsorglichkeit in der Beziehung zwischen Mutter und Kind etwas Positives wäre, so dürfte im politischen Leben eine ganz andere Art von Fürsorge vonnöten sein. Hier ist unkritische Selbsthingabe offenbar gar nicht von Vorteil, vor allem nicht für Frauen, die in vielen Fällen in dem Glauben erzogen worden sind, man solle das eigene Wohl anderen Menschen zum Opfer bringen, ohne irgendetwas für sich selbst zu fordern … Der liberale Individualismus fordert die Frau keineswegs dazu auf, egoistisch zu werden und die eigene Befriedigung höher zu bewerten als die Unterstützung anderer Menschen. Was den Liberalismus angeht, darf sie (… und sollte sie) eine engagierte Altruistin sein, und dabei darf sie so weit gehen, dass sie das eigenen Wohlergehen zum Vorteil anderer hintanstelle. Nach der liberalen Meinung braucht sie auch nicht auf Unabhängigkeit bedacht zu sein und die eigenen Bedürfnisse nach anderen Personen zu minimieren. … Der liberal gesinnten Frau bietet sich auch weiterhin die Möglichkeit, Freundschaft und Liebe ganz in den Mittelpunkt ihres Lebensplans zu stellen. Allerdings verlangt der Liberalismus, dass diese Frau ihr eigenes Wohlergehen vom Wohlergehen anderer unterscheidet und darauf achtet, welche Spannungen zwischen diesen beiden Seiten bestehen, selbst wenn sie miteinander verknüpft sind …“
Martha C. Nussbaum „Konstruktionen der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge: Drei philosophische Aufsätze“, S.62-65, Stuttgart 2002